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Ryan Bleek klammerte sich mit der rechten Hand an sein Kontrollpult, um nicht zu Boden zu gehen. Der letzte Treffer an der Steuerbordseite hat das Schiff so zum Erbeben gebracht, dass selbst Captain Toward fast gestürzt wäre. Für eine Sekunde, die Ryan eher wie eine Minute vorkam, wurde es dunkel auf der Brücke, sodass nur einige Bildschirme, die an das Notstromsystem des Schiffes angeschlossen waren, weiter leuchteten. Ein dunkles, gelbliches Notlicht an der Decke tauchte die Brücke in fahles Licht, während am Funk hektische Stimmen laut wurden. Es waren Techniker am Steuerbord-Hauptgeschütz, wenn Ryan sich nicht irrte. Sie meldeten ein Loch in der Hülle und damit einhergehende Verluste. Offenbar wurden einige der Techniker durch das Leck ins All hinaus gezogen. Die Überlebenden haben sich hinter das nächste Schott gerettet und waren nun mit dem Löschen eines Feuers im Schiffsinneren beschäftigt. Die Stimme des Technikers am Funk wurde von statischem Rauschen begleitet.
Plötzlich ins Kalte All gezogen werden. Kein Tod, den man sterben möchte, dachte Ryan. Aber welchen Tod will man schon sterben? Er sah durch das Panzerfenster der Brücke nach draußen. Ein Jäger schoss knapp an der Brücke vorbei. Nach ihm blitzten erst einige gelbliche Energiegeschosse in dieselbe Richtung, gefolgt von den feindlichen Abfangjägern, aus deren Kanonen die Geschosse abgefeuert worden sind. Ob der Jäger von den Projektilen getroffen wurde, konnte Ryan nicht mehr sehen.
Im Hintergrund war ein Teil von Verax II zu sehen. Der Heimatplanet der Veraxianischen Kolonnien schimmerte in einem ruhigen Blauton, der fast in ein leichtes Grün überzugehen schien. Eine fruchtbare, moderat bewohnte Welt, auf der es bisher friedlich zugegangen war. Das Bild im Orbit des Planeten passte jedoch überhaupt nicht dazu. Konföderierte Großkampfschiffe duellierten sich mit den abtrünnigen veraxianischen Zerstörern. Dazwischen war der Raum erfüllt von zuckenden Lichtblitzen in verschiedenen Farben. Hie und da verendete ein Jäger in einer flammenden Explosion. Zwischen zwei Kreuzern schwebten die toten Hälften einer Fregatte, deren Reaktor von einem Torpedo zerstört worden war. Die Crew hatte keine Chance mehr gehabt, die Rettungskapseln zu erreichen. Der Reaktor war explodiert und hatte das Schiff in der Mitte zerrissen wie einen Ast, den man über seinem Knie brach.
Ryan schluckte und sah wieder auf seine Instrumente. Als er sich an der Akademie auf dem Mars verpflicht hatte, herrschte gerade Frieden in der Galaxie. Er hatte nicht damit gerechnet, in näherer Zukunft einen Kampfeinsatz fliegen zu müssen. Und jetzt saß er als Sprungnavigator auf einem konföderierten Zerstörer und befand sich mitten in einer erbitterten Schlacht.
Er schüttelte den Gedanken ab. Es galt jetzt, aufmerksam zu bleiben. Das Hauptlicht auf der Brücke flackerte immer wieder. Scheinbar war mit der Stromversorgung etwas nicht in Ordnung.
Captain Toward ließ sich einen Funkkanal zum Flottenadmiral auf der SCS Unity öffnen. Trotz der chaotischen Umstände brachte der graubärtige Kapitän es fertig, ruhig und gefasst zu wirken. Ryan konnte nur vermuten, dass auch der Captain unter seiner professionellen Schale recht nervös war.
»Hier spricht Captain Toward von der SCS Goliath. Wir haben einen schweren Treffer auf der Steuerbordseite erlitten. Die Systeme melden Kühllecks und Hüllenbrüche an mindestens zwei Stellen.«
Auf dem großen Bildschirm vor ihm erschien das Gesicht einer etwa vierzigjährigen Frau. Es war Vizeadmiral Eveson, die stellvertretende Kommandantin der Flotte. Der Admiral selbst war vermutlich gerade zu sehr mit der Koordination des Angriffs beschäftigt, um den Funkspruch selbst entgegenzunehmen.
»Hier Unity«, begann die Frau. »Verstanden, Goliath. Sind Sie noch manövrierfähig?«
»Eingeschränkt«, knurrte Toward.»Die Haupttriebwerke sind weitestgehend intakt, wir haben lediglich einige Steuerdüsen verloren.«
»Verstanden. Wir lassen die Zerstörergruppe Epsilon auffächern und Ihre Position mitübernehmen. Sie ziehen sich zurück.«
»Zurückziehen?!« Eine Mischung aus Überraschung und Ärger machte sich im Gesicht des Captains breit. »Aber wir sind noch kampfbereit!«
Eveson schien auf seinen veränderten Tonfall nicht einzugehen. «Unsere Sensoren melden, dass die Panzerung an Ihrem Hauptreaktor fast durchschlagen wurde. Noch so ein Treffer und wir verlieren nicht nur das Schiff sondern Ihre komplette Besatzung, Captain. Und jetzt ziehen Sie sich zurück. Das ist ein Befehl. Unity Ende.« Die Stimme der Vizeadmiralin hatte nichts Drohendes oder Herrisches. Offenbar war es für sie selbstverständlich, dass das Gespräch nun beendet war.
Toward öffnete den Mund, wie um zu remonstrieren. Dann schnaufte er mit verschlossenen Augen durch, ehe er in ruhigerem Ton antwortete: »Verstanden. Ziehen uns zurück. Goliath Ende.«
Ryan hatte während der Diskussion des Captains beinahe das Luftholen vergessen und atmete hörbar aus. Der Captain war dafür bekannt, dass er das Risiko nicht scheute. Jedoch wusste er in der Regel, wann die Grenze erreicht war und das war hier offensichtlich der Fall. Selbst wenn die Goliath in ihrem Zustand noch sehr gefährlich war, konnte ein falscher Treffer das Leben der gesamten Besatzung beenden. Der Captain wandte sich Ryan vollständig zu, sodass die Abzeichen und Orden auf seiner blauen Uniform die vielen farbigen Lichter der umliegenden Steuerkonsolen reflektierten.
»Bleek, berechnen Sie uns umgehend einen Weg aus der Schlacht. Geschwindigkeit Zwo komma Vier, Entfernung Vierhundert- bis Sechshundert.
»Jawohl, Sir.« Ryan machte sich sofort an die Berechnung. Er hatte den Sektor während der gesamten Schlacht bereits im Auge behalten und mögliche Rückzugswege gescannt. Verax II war von mehreren Asteroidenfeldern und Planetoiden umgeben, sodass die Auswahl an Fluchtwegen recht begrenzt war. Ryan suchte den Vektor mit dem geringsten Kollisionsrisiko heraus, was keine zehn Sekunden in Anspruch nahm.
»Kurs Vierundneunzig Punkt Fünfzehn Punkt Acht«, gab Ryan laut und deutlich an den Steuermann weiter. Dieser begann sofort damit, Ryans Koordinaten einzugeben und dabei diverse Regler und Hebel zu bewegen. Ein leichter Ruck fuhr durch das Schiff, als die Steuerdüsen auf Volllast hochfuhren und das Schiff langsam abdrehte. Die Zerstörer der Titan-Klasse waren schwer gepanzert und bis an die Zähne bewaffnet. Und dieser Panzerung war es vermutlich zu verdanken, dass der letzte schwerwiegende Treffer den Reaktor nicht erreicht hat. Doch besondere Wendigkeit konnte man den riesigen Dreadnaughts nicht nachsagen, sodass es fast eine halbe Minute dauerte, bis das Schiff gewendet und auf den Kurs ausgerichtet war, den Ryan errechnet hatte. Die Schlacht tobte jetzt hinter ihnen. Eine weitere Titan Dreadnaught hat sich mittlerweile zwischen die Goliath und ihre Angreifer gesetzt und war gerade damit beschäftig, den Zerstörer mit Geschützfeuer einzudecken, der die Goliath so schwer zugerichtet hatte. Das muss die SCS Gorgon sein, dachte Ryan. Cantrell und Dekker, zwei Kameraden, mit denen er sich auf der Akademie eine Stube geteilt hatte, dienten auf dem Schiff. Zumindest war das Ryans letzter Stand.
»Schiff in Positon!«, meldete der Steuermann als würde er das Geschehen draußen gar nicht mitbekommen.
»Schiff bereit zum Sprung!« bestätigte Ryan. Die elektronische, weibliche Stimme des Schiffscomputers schallte durch alle Lautsprecher der Goliath: »Achtung. Sprung steht bevor. Nehmen Sie umgehend entsprechende Positionen ein.«
Captain Toward wartete nach der automatisierten Durchsage noch ein paar Sekunden, als würde er darüber nachdenken, ob diese Entscheidung die Richtige war. Dann verschränkte er die Hände hinter dem Rücken und nahm festen Stand ein.
«Sprung durchführen.«
Der Pilot hatte das Kommando bereits erwartet und schob einen großen, flachen Hebel von sich weg. Unmittelbar vor dem Schiff schien sich der Raum zu verzerren. Die Leere wölbte sich, als hätte jemand eine transparente Blase ins All projeziert, in der sich die umliegenden Sterne spiegelten. Das Schiff tauchte in diese kaum sichtbar schimmernde Kugel ein. Man würde jetzt damit rechnen, dass man das Schiff durch die Blase hindurchfliegen sieht ehe es auf der anderen Seite wieder herausgleitet. Doch wie bei einem dieser gestellten Tricks eines Illusionisten blieb die Blase leer und das riesige Schiff verschwand in der Außenhaut des kugelförmigen Gebildes.
Etwa Fünfhundertmillionen Kilometer weiter, also einen galaktischen Katzensprung von der Schlacht entfernt, schwebte eine identische Blase mitten im All. Man könnte sie mit dem bloßen Auge kaum wahrnehmen, da es einfach nur ein kugelrunder, blankpolierter Spiegel zu sein schien, der das Schwarze All um sich herum reflektierte. Als hätte jemand pures Chrom ins All geleert und das Chrom hätte sich zu einer Kugel zusammengezogen. Doch eine Stelle der Kugel kam plötzlich in Bewegung. Ein leichtes Wabern, eine kleine Wellenbewegung auf der Oberfläche. Und wie aus dem Nichts bohrte sich erst die Spitze der Goliath durch die spiegelnde Außenwand des Wurmlochs, gefolgt vom restlichen Schiff.
Wurmlöcher. Wieso man sie Löcher nannte, wo sie doch mehr wie Kugeln aussahen, war Ryan schon immer ein Rätsel gewesen. Der Ausdruck kam scheinbar aus einer Zeit, als es Wurmlöcher nur auf dem Papier und in den Theorien einiger Wissenschaftler gegeben hatte. Schwer vorzustellen, wie die Menschen vor der künstlichen Erschaffung von Wurmlöchern durch das Weltall gereist sind, dachte er.
Die Goliath schwebte jetzt ruhig durch einen völlig verlassenen Teil des Sektors. In weiter Ferne war das leicht bläuliche Schimmern von Verax II zwischen dem klaren Weiß der übrigen Sterne auszumachen. Von der Schlacht selbt war nichts mehr zu erkennen, dafür waren sie viel zu weit weg. Auf der Brücke war es totenstill. Offenbar war Ryan nicht der einzige, der die plötzliche Stille nach dem Schlachtengewirr erst verarbeiten musste. An dem schmalen Brückenfenster schossen keine Jäger und Projektile mehr vorbei. Als wäre man aus einem bösen Traum erwacht, um dann festzustellen, dass in Wahrheit alles ruhig war.
»Bericht.« brummte Captain Toward trocken in den Raum und unterbrach damit Ryans Gedankengang. Ein junger Offizier zu seiner Linken wandte sich ihm zu und begann mit seiner Aufzählung.
»Sprung erfolgreich, Hauptantrieb leicht beschädigt, Reaktor intakt, zwei Bruchstellen in den Abschnitten D1 und C1, Schotten sind dort aber dicht. Das Feuer auf Ebene C2 ist gelöscht. Die Technikabteilung meldet acht vermisste Besatzungsmitglieder nach dem Hüllenbruch in D1. Lebenserhaltungssysteme arbeiten..«
Ryan hörte nur halb zu, während der Offizier seinen Bericht vortrug. Seine Sensoren schienen bei der Ankunft in diesem Bereich kurz mit Interferenzen zu kämpfen. Hoffentlich hatte der Navcomputer nichts abbekommen, sonst würde das die Weiterreise stark erschweren. Sein Display flackerte alle paar Sekunden kaum merklich auf.
Toward nickte, als sein Offizier mit dem Bericht am Ende war. »Danke, Lieutenant. Lassen Sie sofort nach der Basatzung in den beschädigten Abschnitten sehen. Ich will außerdem in dreißig Minuten einen vollständigen Bericht über den Reparaturaufwand, der notwendig ist um uns zur nächsten Basis zu bringen.
Starten Sie die Selbstdiagnose des Schiffs und lassen Sie parallel die Besatzung das Schiff auf Herz und Nieren überprüfen.«
»Jawohl, Sir. Ich möchte jedoch anmerken, dass wir für eine aussagekräftige Selbstdiagnose kurzzeitig alle Systeme bis auf den Reaktor und die Lebenserhaltung deaktivieren müssen.
»In Ordnung, bauen Sie vorher eine SLT Verbindung zur Flotte auf.«
»Jawohl, Sir.« In einer Ecke der Brücke machte sich eine junge Soldatin sofort daran, einen Kanal zu öffnen. Mit Überlichtgeschwindigkeit schickte der superluminare Transmitter, kurz SLT, das Signal an die Sternenflotte im Orbit von Verax II. Eine Bildübertragung war über SLT nicht möglich, dafür konnte man auf diese Weise quer durch das Weltall kommunizieren ohne nennenswerte Verzögerung.
Der Captain räusperte sich nochmal, ehe er in Richtung des Richtmikrofons sprach, welches von seiner Konsole aufragte.
»Hier spricht Captain Toward von der SCS Goliath. Unser Sprung war erfolgreich. Wir schalten nun in den Diagnosemodus und beginnen Anschließend mit den Reparaturen. Wir werden etwa eine halbe Stunde nicht kommunizieren können.«
»Hier die SCS Unity«, meldete sich wieder Vizeadmirälin Eveson. »Wir haben verstanden. Melden Sie sich nach Abschluss der Diagnose erneut, Captain.«
»Verstanden, Goliath Ende.«
Der Kommunikationskanal wurde geschlossen. Toward nickte seinem Offizier stumm zu, welcher sofort damit begann, routinierte Anweisungen an die komplette Besatzung zu geben. Der Diagnoselauf wird auf der Akademie immer und immer wieder durchexerziert, sodass der Captain die Befehle nicht persönlich geben musste. Binnen weniger Sekunden fiel das Licht auf der Brücke wieder aus. Dieses Mal jedoch war es beabsichtigt, da alle unnötigen Systeme während der Diagnose abgeschaltet waren.
Auch Ryans Navcomputer schaltete nach einigen Sekunden ab. Überhaupt waren alle Computer und Bildschirme auf der Brücke nun dunkel, außer dem Bildschirm von Captain Toward und dem Bildschirm des Offziers, der die Diagnose leitete. Eine Art Tabelle flimmerte über die beiden Bildschirme. Die überprüften Systeme waren in weißen Zeilen dargestellt. Nach der Diagnose eines Systems änderte sich die Farbe des jeweiligen Eintrags in grün oder in rot, je nach Zustand des betreffenden Systems. Vor allem die Systeme auf der Steuerbordseite schienen einiges abbekommen zu haben, da hier mehrere Zeilen hintereinander rote Farbe annahmen. Doch insgesamt bot sich ein halbwegs beruhigendes Bild. Nach den ersten fünfzehn Minuten Diagnoselauf schienen die meisten Syteme einen grünen Status angenommen zu haben.
Captain Toward verfolge die Diagnose aufmerksam und nickte immer wieder. »Gut, gut..« murmelte er zwischendurch. »Die meisten Systeme scheinen in Ordnung zu sein. Mit etwas Glück könnten wir binnen sechs Stunden wieder sprungbereit sein.«
Nach weiteren zehn Minuten war die Diagnose beendet. Die Ergebnisse deckten sich soweit mit den Funksprüchen einiger Bordtechniker, die wie befohlen das Schiff von Innen abschritten und auf Sicht überprüften. Manche Schäden waren doch nur mit menschlichem Auge zu erfassen, auch wenn der Diagnoselauf den Technikern sicher viel Arbeit ersparte.
Dass die Diagnose irgendwann beendet war, merkte Ryan sofort, denn das Hauptlicht auf der Brücke schaltete sich wieder ein. Nach und nach leuchteten alle Dioden, Lampen und Bildschirme auf den verschiedenen Konsolen und Steuergeräten der Brücke wieder auf.
Ryans Navcomputer nahm seine Arbeit wieder auf und scannte den Sektor auf Hindernisse und Störfelder, durch die man nicht springen konnte. Und da war es wieder. Dieses kurze Zucken beim Start des Scans. Als würde irgendwas das Signal stören. Nach einer Sekunde normalisierte sich seine Anzeige wieder. Vermutlich nur ein Fehler durch den Schaden am Schiff., dachte er.
»Ehm.. Captain…« Es war die verunsicherte Stimme einer älteren Majors, der den Radarschirm überwachte. Captain Toward drehte seinen Kopf zu dem grauhaarigen Soldaten. »Was gibt es, Tompkins?« Ryan bemerkte eine Spur von Sorge in Towards Stimme. Toward und Tompkins arbeiteten schon lange auf derselben Brücke. Wenn der altgediente und routinierte Tompkins verunsichert war, dann hatte das in Towards Augen sicherlich nichts Gutes zu bedeuten.
Die Augen des Majors wanderten irritiert auf dem Radarschirm hin und her. »Das kann eigentlich nicht sein, aber unsere Scanner melden sieben oder acht Schiffe in unserer unmittelbaren Nähe. Sie bewegen sich auf uns zu. Die Signaturen gehören nicht zur Konföderation.«
Ohne weitere Ausführungen des Majors abzuwarten, drehte Toward sich zur Mannschaft um. »Alle auf Gefechtsposition! Schilde hochfahren!«
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